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ROLAND

JD-800 / pol syn 2650 (1991)

erster Digitalsynthie mit Reglern: der JD-800 Als der JD-800 auf den Musikmessen 1991 vorgestellt wurde, war das Raunen gross, denn seit langem bietet einer der renomierten Hersteller wieder einen Synthesizer mit analoger Bedienoberfläche an - und das bei einem durch und durch digitalen Synthesekonzept. Ohne Zweifel, dieser Synthesizer muss doch ein Renner werden. Und gerade das wurde er nicht. Woran lag es? Am hohen Einstandspreis von rund 4500,- DM (Hardware kostet nun mal leider)? Erst nach einer deutlichen Preissenkung kam dieser über fünf Jahre erhältliche Synthesizer langsam zu der ihm gebührenden Akzeptanz. Und heute ist er in fast jedem Studio für zeitgenössische Musik (Stichwort Techno) als Standardinstrument zu finden. Ob Michael Jackson auf Tournee, Klaus Schulze im Studio oder wer auch immer. Den JD-800 legten sich im Laufe der fünf Jahre doch so einige Musiker zu. Es ist sogar eine Expanderversion bekannt, bei welcher die analoge Bedienoberfläche von der Tastatur abgetrennt wurde. Zwei Jahre erschien mit dem JD-990 SUPER JD auch eine richtige Expanderversion im Rackformat mit erweiterten Möglichkeiten und insbesondere der Möglichkeit, ihn über die Regler eines bestehenden JD-800 zu programmieren.

Dass es anfangs wohl nicht so recht klappen wollte, lag vielleicht auch am anhaltenden Sampler-Boom. Syntheseformen kamen kaum neue, denn alle Synthesizer, sieht man mal von dem SY 77 und SY 99 von YAMAHA ab, boten mehr Preset-Wave-ROMs (Rompler) an. Und da ist auch der JD-800 nicht anders, denn er basiert auf ein drei MByte grosses ROM, welches laut ROLAND dank dessen Datenkomprimierungsverfahrens sechs MByte in 16 Bit Linearformat entsprechen soll. Da man mit dem JD-800 einen Synthesizer im Wortsinne schaffen wollte, bedient sich der Wellenform-Vorrat von insgesamt 108 Wellenformen überwiegend aus Klangmaterial synthetischem Ursprungs. Zwar findet man auch die Standardklänge (Bläser, Streicher, Piano), aber dafür sind andere Spezialisten besser geeignet. Was den JD-800 besonders ausmacht, sind eben die synthetischen Wellenformen in Verbindung mit dem überdurchschnittlich guten Digitalfilter. Sehen wir uns die Klangstruktur einmal komplett an:

Der JD-800 organisiert seine Klänge in bis zu vier Tones pro Patch, wobei ein sogenannter Tone einen kompletten Parametersatz besitzt. Je nach Anzahl der verwandten Tones reduziert sich die Stimmenzahl. Bei einem Tone erzeugt der JD-800 24 Stimmen, bei derer zwei folglich 12 Stimmen, bei drei immerhin noch acht und bei voller Ausnutzung aller vier möglichen Tones leider nur noch sechs Stimmen. Jeder Tone besteht aus einem Wellenformgenerator (sprich Oszillator), einem Digitalfilter (TVF) und einem Verstärker (TVA) mit jeweils eigener mehrstufiger Hüllkurve. Als Modulatoren kommen zwei LFOs mit jeweils eigener Minihüllkurve zum Einsatz. Das Filter kann in den Betriebsarten Bandpass, Tiefpass oder Hochpass betrieben werden und arbeitet mit einer Flankensteilheit von 24 dB/Oct. Es ist resonanzfähig. Bei einige Wellenformen kommt es aber leider dennoch zu unschönen Verzerrungen. Nichts desto trotz gehörte dieses Digitalfilter lange zum Besten, was es je in einem Musikinstrument gegeben hatte. Der Oszillator lässt sich in Grob- und Feinstimmung programmieren. Sogar eine zufällige Variation der Tonhöhe pro Tastenanschlag kann mit einem wählbaren Wert eingestellt werden. Dieser Effekt reicht von wilden Zufallstonhöhen bis zu kaum merkliche Veränderungen, wie sie insbesondere zur Nachahmung alter analoger Synthesizer mit gleichem technisch bedingten Nebeneffekt genutzt werden. Eine vollständige Tonhöhenhüllkurve erlaubt aufwendige Autobend-Effekte und wilde Tonhöhenorgien. Die Filterhüllkurve indes kann positiv oder negativ auf die Eckfrequenz des Filters wirken. Gleicher Effekt ist auch mit der Lautstärkehüllkurve möglich. Die beiden LFOs sind identisch aufgebaut und besitzen jeweils die Wellenformen Dreieck, Sägezahn und Rechteck, sowie harte und gleitende Zufallswellen. Für die LFOs kann bestimmt werden, ob sie frei laufen oder bei jeden Tastendruck neu getriggert werden sollen. Sie lassen sich in Modulations- und Einblendgeschwindigkeit und Einsatzverzögerung programmieren. Ausserdem lässt sich ein positiver oder negativer Offset-Wert setzen. Es gehören noch zahlreiche grösstenteils direkt erreichbare Parameter dazu (63 Regler, 62 Taster), die den Rahmen hier aber sprengen würden. Allein mit einem solchen Parametersatz lassen sich aufregende Klänge erstellen. Aber es können ja bis zu vier Tones geschichtet werden...

Als Würze kommen schliesslich die Effekte hinzu, wobei hier insgesamt acht verschiedene Grundeffekte zur Verfügung stehen, welche bei Bedarf auch alle GEMEINSAM eingesetzt werden können. Dafür gibt es drei Effektgruppen:

Letzterer gilt für das gesamte Instrument und ist dementsprechend immer für alle Programme identisch. Er ist dreibandig aufgebaut. Die Mono-Effekte stehen nur im Single-Modus zur Verfügung. Hier gibt es Phaser, Distortion, Spectrum und Enhancer. Die Stereoeffekte sind Delay, Chorus und Reverb. Im Multimodus lässt sich ein Satz Stereoeffekte programmieren, wobei pro beteiligtem Programm die Effektzusammenstellung und der Send-Pegel einstellen lassen. Die Mono-Effekte stehen dort nicht zur Verfügung. Die Effektqualität ist meines Erachtens für einen Synthesizer aus dieser Zeit durchaus ansprechend und setzt dem Ganzen die Krone auf.

Der angesprochene Multimodus ist eine zwiespältige Sache. Zum Einen gibt es nur ein einziges Programm, welches nach Editierung immer sofort automatisch gespeichert ist. Ein solches Multiprogramm kann auf einer RAM-Karte gesichert werden, allerdings nicht aktiv via MIDI versandt werden. Hier sind externe Abwurfersuchen zu senden. Es lassen sich fünf Parts einstellen, die auf die Programme des Single-Modus zurückgreifen. Allerdings ist die Effekteinstellung (siehe oben) eine andere. Der sechste Part ist der sogennante Special-Setup. In diesem Modus kann pro Taste ein kompletter Parametersatz verwandt werden (WG, TVF, TVA, drei Hüllkurven, zwei LFOs!!!), so dass pro Taste ein anderer Klang programmiert werden kann. Eine Anwendung wäre hier z.B. die aufwendige Programmierung eines Stereo-Pianos mit pro Taste programmierbarer Panoramaposition (geschehen beim Special-Setup des Grand-Piano-PCM-Cardsets). Die Preseteinstellung umfasst eine Special-Effects- und Drumsetup. Übrigens wurden diese Preseteinstellungen beim Genesis-Titel "We can't dance" von Tony Banks genutzt. So lassen sich die fünf Parts und das Special Setup zusammen mit wählbaren MIDI-Kanal als multitimbralen Expander einsetzen, wobei aber die Stimmenzahl in der Regel recht knapp werden dürfte. Aber allein der Umstand, nur ein Multiprogramm zur Verfügung zu haben, dürfte den Einsatz dieses Modi nahezu ausgeschlossen haben, sieht man einmal von den fantastischen Möglichkeiten des Special Setups ab.

Bleiben noch die übrigen Eckdaten: 61 anschlagsdynamische Tasten mit monophoner Druckdynamik, ROLAND-Bender als Spielhilfe, Solo-Modus, in welchem zusätzlich ein Portamento-Effekt aktiviert werden kann (und auch nur da!), Transpose-Taster mit programmierbarer Transposition von plus/minus 12 Halbtönen, quasi einer Patch-Select-Funktion, wie sie von ENSONIQ-Synthesizern her bekannt ist (über die Tone/Layer-Active-Taster ist es möglich, einzelne Tones knackfrei an- und abzuschalten), MIDI-Trio, PCM-Card-Slot für den Einsatz der acht erhältlichen SL-JD80-Cardsets und einiger SR-JV80-PCM-Karten, RAM/ROM-Kartenschacht, zwei Stereoausgänge (einer ist immer trocken, der andere mit bei Bedarf abschaltbaren Effekten), sowie Anschlussmöglichkeit für ein Hold- und Expressionpedal. Die fehlende Echtzeitsteuerung der Effekte (hier tat sich seinerzeit besonders KORGs WAVESTATION hervor) wurde als Minuspunkt gewertet. Ein weiteres Minus ist die Tatsache, dass eine Parameterwertänderung auf dem Bedienpanel in der Regel zu Klangsprüngen führt, da es nicht möglich ist, einen Parameter "abzuholen" (Wirken des Parameters erst dann, wenn der zuvor programmierte Wert erreicht wurde). Schliesslich gibt es noch die vier Palette-Schieberegler, wie sie schon vom D-70 her bekannt sind. Jeder Regler wirkt dabei auf einen Teilklang (Tone). Man wählt dazu einen Parameter auf dem Bedienfeld durch Berühren aus und kann nun mit den Palette-Reglern für alle vier Tones diesen Parameter programmieren.

Die Bedienung ist natürlich ein Kinderspiel bei einer derartigen Vielfalt von Bedienelementen. Sie lädt zum Programmieren ein. Die späten Neunziger haben diesen Trend letztendlich erkannt und so gibt es seit 1996 wieder zahlreiche Synthesizer mit direktem Parameterzugriff. Begründet wurde dieser Umstand durch die mangelnde Prozessorleistung, mit welcher eine derartige Bedienerführung bis dato bei Digitalsynthesizern einfach nicht möglich war. Keine Frage, in Zeiten virtueller Synthesen und des Klamath-Prozessors besteht hier keine Ausrede mehr. Der JD-800 hat schon früh den möglichen Weg für die Zukunft aufgezeigt. Er erfüllt seine Aufgaben zufriedenstellend, wenngleich man auch bei diesem Klassiker noch wünschenswerte Veränderungen hätte einbringen können. Der relativ konstant hohe Gebrauchtpreis dieses Synthesizers zeigt einmal mehr, wo dieses Instrument anzusiedeln ist. Der Klang reicht letztendlich auch von "analogen" Bässen über warem Flächen bis zu digitalem Geflirre und PPG-ähnlichen Klängen. Als Workstation für Popmusik ist der JD-800 sicherlich nicht geeignet. Aber als Synthesizer zum Wortsinne ist er sicherlich die erste Wahl.


Siehe dazu auch bei Amazona den Green-Box-Artikel von mir zum JD-800.


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